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Frau, Leben, Freiheit.
Was ist das und warum ist das wichtig:

Teil II

[Abend, Leipzig, zu Hause, Sommer 2022]

Ich bin seit 2011 auf der Plattform X (damals noch Twitter) aktiv. Irgendwann habe ich aufgehört, weil Twitter im Iran gesperrt ist und man immer ein VPN braucht, um da reinzukommen. Was bedeutet, dass man potenziell verdächtiger ist. Nach meinem Umzug nach Deutschland bin ich da aktiver. Es ist einfacher hier, aber es gibt mir auch das Gefühl mit der Community in Kontakt zu bleiben. Meistens lege ich mich abends nach der Arbeit hin und scrolle durch die iranische Timeline. An diesem Sommertag schreibt eine Frau etwas, das sehr schnell viral geht. Sie schreibt: „Heute ist eine Frau in Wosara zusammengebrochen und nach 30 Minuten wurde sie von der Wache mit dem Krankenwagen abgeholt“. Dass das stimmt, bezweifelt niemand. Fast jeder, der nicht selbst einen strengen Hijab trägt, ist schon einmal von der Sittenpolizei angehalten worden und weiß, was alles passieren kann. Wenig später bricht die Nachricht durch. Sie heißt Mahsa Amini und liegt in einem Krankenhaus in Komma.

Iranische Frauen auf Twitter fangen an zu erzählen, welche Gewalterfahrungen sie selbst bei der Sittenpolizei gemacht haben. Es ist auch völlig glaubwürdig, da es auch genug Videoaufnahmen davon heute gibt. Vor ein paar Jahren gab es auch den gleichen Twitter Trend unter iranischen Frauen weltweit mit dem Hashtag #letustalk nämlich „lasst uns reden“! Dieser Trend wurde ausgelöst, nachdem das Tragen von Kopftuch und Hijab von vielen westlichen feministischen Gruppen als „Kultur“ angesehen und dazu aufgefordert wurde, nicht nur toleriert, sondern auch akzeptiert zu werden. Iranische Frauen berichteten von ihren persönlichen Erfahrungen mit dem Kopftuchzwang durch Familie, Tradition, Schule, Arbeit, Studium und Gesellschaft, und sie hatten einen Punkt! Es ist kein kulturelles Erbe, das es zu schätzen und zu bewahren gilt, sondern ein Zwang, der die Menschenrechte der Frauen verletzt.

Der Hijab ist ein kompliziertes Thema. Er hat viele Aspekte, einer davon ist natürlich die Kultur, aber das ist nicht alles. Man muss als Frau in einer muslimischen Gesellschaft gelebt haben, um alle Aspekte zu verstehen. Was aber klar zu verstehen ist, ist, dass Hijab grundsätzlich eine Einschränkung der Frauenrechte ist. Das Wort Hijab bedeutet Bedeckung. Es geht also darum, dass eine Frau ab dem neunten Lebensjahr alles am Körper und die Haare bedecken muss, außer Hände, Füße und Gesicht. Also wie man in manchen Medien hört, „Kopftuchzwang“ ist nur ein Teil von Hijab und wie man in manchen anderen Medien hört Gesichtsbedeckung alias Borka ist kein Teil von Hijab Grundlagen. Der Hijab gehört zu den Fundaments des Islam, wird aber von den muslimischen Gläubigen je nach eigenem Empfinden oder je nach Liberalität im Umgang mit der Religion im Alltag praktiziert. Solange jede Frau in den muslimischen Ländern selbst entscheiden kann, ist das in der Regel kein Problem. Das Problem ist, dass der Hijab mit vielen verschiedenen Methoden, von emotionaler Manipulation bis hin zu Gewalt, den Frauen aufgedrängt wird. Und das ist die hässliche Seite der islamischen Regierungen. Denn da der Hijab wird immer mit Gewalt durchgesetzt. Eines dieser Länder ist der Iran. Und da ist Iran besonders, weil in Gegenteil von viele anderen islamischen Länder wie zB. Saudi Arabien, die Mehrheit der iranischen Frauen, überhaupt nicht an den Hijab glauben. Der Kampf der iranischen Frauen gegen diesen Zwang ist auch älter als die Islamische Revolution. Aber danach ist er besonders wichtig geworden, denn vor der Revolution, für eine kurze Zeit von 43 Jahren, durften die Frauen laut Gesetz selbst entscheiden, ob sie in der Öffentlichkeit den Hijab tragen wollen oder nicht. Und dieser Kampf geht bis heute weiter.

Zwei Tage nach der Nachricht von Mahsa Amini starb sie im Krankenhaus. Ihr Tod war wie ein Funke in einer Scheune. Menschen demonstrierten vor dem Krankenhaus in Teheran. Die Regierung versuchte zunächst - wie immer - mit vielen Lügen die Situation unter Kontrolle zu halten. Dass sie angeblich schon krank war, dass sie einen Herzinfarkt hatte und so weiter. Was aber jede Frau in irgendeiner Form schon erlebt hat und weiß, dass sie höchstwahrscheinlich verprügelt wurde. Und deshalb bewegt ihr Tod so viele Menschen. Auch mich bewegt ihrem Tod besonders. Wir haben den gleichen Namen. Sie ist fast so alt wie ich damals als ich verhaftet wurde. Wie man auf den Bilder sieht ist sie auch sogar „anständig“ bekleidet. Was man in den veröffentlichten Überwachungskamera Videos sieht, wie und wo sie zusammenbricht, kenne ich, da war ich auch mal. Ich könnte Mahsa sein, wir alle könnten Mahsa sein! Und so geht es auch bestimmt viele anderen. 

Iranische Frauen beginnen, sich vor der Kamera der sozialen Medien die Haare abzuschneiden, ein Symbol der Trauer im orientalischen Raum, dass nun eine neue Bedeutung bekommt: Ich schneide mir die Haare, die ich bedecken muss, damit du mich nicht tötest! Das hat eine klare Botschaft, das ist nicht nur Trauer, das ist Wut!  Kurz darauf beginnen massive Demonstrationen im Land. Sie beginnen bei der Beerdigung von Mahsa. Auf ihr Grab hat jemand geschrieben: Liebe Zhina (Mahsa’s zweiter und kurdischer Name) du stirbst nicht, dein Name wird ein Schlüssel! Und da schreien plötzlich Tausende: Frau, Leben, Freiheit. Was unter dem Terrorregime der Mullahs am meisten unterdrückt wird: Frauen, normales Leben und natürlich Freiheit! In den Protesten von Sept 2022 bis Okt 2023 sind Hunderttausende Iraner überall auf die Straße gegangen, Tausende wurden verhaftet und viele sogar zu Tode verurteilt, Hunderte wurden auf der Straße von islamischen Milizen Tod erschossen und viele schwer verletzt. All das nur, weil sie den Hijab nicht tragen wollen, der für die Islamische Republik so wichtig ist, wie die Mauer für die DDR.

Seitdem ist "Frau, Leben, Freiheit" nicht nur ein Slogan, sondern ein Manifest. Ein klares Bild der Werte des iranischen Volkes, das unter der Herrschaft der islamischen Regierung leidet, dem alles genommen wird, Wohlstand, Umwelt, Würde! Ihr Geld wird den Huthi, der Hamas und der Hisbollah gegeben, damit sie jeden Tag ärmer werden, damit die ganze Welt ihr Land als Bedrohung wahrnimmt, damit ihre Wirtschaft unter den Sanktionen jeden Tag mehr schrumpft, und dennoch schreien sie nach Frauenrechten, nach Leben, nach Freiheit. Vielleicht verzweifelt, aber hartnäckig und mutig. 

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